Aktuelles von der THR

Eine neue Kultur des Sozialen

Soziale Arbeit und Diakonie

»Wann endet die Nacht und der neue Tag beginnt?« So fragt in einer traditionellen Geschichte ein jüdischer Rabi seine Schüler, damals alles Männer. Überraschend ist die alltägliche Diesseitigkeit der Frage, wie man sie von einem Religionslehrer kaum erwartet hätte. Die Schüler denken nach und antworten: »Wenn man einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann« oder: »Wenn sich ein Dattelbaum von einem Feigenbaum abhebt.« Doch der Rabbi schüttelt nur den Kopf und antwortet schließlich selbst: »Wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blickst und deine Schwester oder deinen Bruder erkennst, dann beginnt der neue Tag. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.« Und jetzt eröffnet sich die theologische Tiefe dieser Frage: Sich nicht mehr bloß als Menschen unter vielen oder gar als lästige Konkurrenz zu erkennen, sondern als Geschwister kann nur, wer auch die gemeinsamen himmlischen Herkunft aller Menschen erkennt. Damit beginnt etwas Neues.

Die Theologische Hochschule Reutlingen arbeitet daran, dass dieser Tag einer neuen Kultur des Sozialen heranwächst. Ganz wesentlich tragen dazu Menschen bei, die selbst unter der Nacht zwischen Menschen gelitten haben, konkret: unter Krieg, Verfolgung und Vertreibung.

Im Studienjahr 22-23 waren 25% der Studienanfänger*innen in »Soziale Arbeit und Diakonie« junge Frauen, die in Syrien geboren wurden und vor dem Krieg geflohen sind. Eine schreibt in ihrer Bewerbung: »Ich habe mich für diesen Studienbereich entschieden, da ich einen Teil meiner Kindheit im Krieg verbracht habe und die Schwierigkeiten kenne, gerade als Kind mit widrigen Lebensumständen umgehen zu müssen. Aus diesem Grund möchte ich Menschen helfen, insbesondere Kindern, die aus vielen verschiedenen Gründen leiden oder beeinträchtigt sind.«

Die Frauen haben alle einen unterschiedlichen religiösen Hintergrund. Trotzdem studieren sie »Soziale Arbeit und Diakonie« an der christlich (und freikirchlich-methodistisch) geprägten Theologischen Hochschule Reutlingen, weil hier Religion und persönlicher Glaube als soziale Werte anerkannt und als persönliche Kraft gestärkt werden. Dieses Konzept zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass allen Religionen mit Respekt und Interesse begegnet wird. Erst so kann eine neue Kultur des Sozialen entstehen.

Diese Kultur wird jetzt noch gestärkt durch die Berufung von Dr. Marziyeh Bakhshizadeh zur Professorin der THR auf dem Lehrstuhl »Theorien, Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit im Kontext gesellschaftlicher Diversität.« Dr. Bakhshizadeh hat nach ihrem Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Teheran (Iran) an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum promoviert mit einer Arbeit über »Women’s Rights in Different Interpretations of Islam in Iran after the 1979 Revolution« und arbeitet seit 2016 an der Hochschule Rhein-Waal in der Fakultät für Gesellschaft und Ökonomie im Studienprogramm Gender and Diversity. Zudem ist sie gegenwärtig unter anderem in der sozialpädagogischen Betreuung von Flüchtlingsgemeinschaftsunterkünften tätig. Für Dr. Bakhshizadeh ist die ganzheitliche Entwicklung persönlicher, sozialer und geistiger Kompetenz das Ziel von Lehre und Ausbildung, und zwar durch die Verbindungen von Theorie und Praxis, Glaube und Wissenschaft, Werteorientierung und akademischer Breite.

Nach sieben Semestern sind die jungen Frauen (und natürlich auch die Männer) ausgebildete und diplomierte Sozialarbeiterinnen – mehr aber noch und viel wichtiger: Kulturvermittlerinnen aus eigener Erfahrung. Und davon braucht es in diesem Land ganz dringend noch viel mehr. Dazu leistet die Theologische Hochschule einen Beitrag. Wer an dieser Aufgabe interessiert ist, ist willkommen: Bewerbungen für den Studiengang mit Beginn im Wintersemester 23/24 sind noch möglich.

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