06. Juli 2022
Nicht: »Ich will«, sondern: »Wir können« – Überlegungen zum Begriff der Freiheit
Vortrag von Prof. Christof Voigt im Rahmen des Studium Generale und der Vortragsreihe „Terms of Freedom: Welche Freiheit wollen wir?“
Freiheit – der Ruf danach ist schon immer laut vernehmbar. „Ich will“ oder „Ich will das aber nicht“ gelten schon häufig als Ausdruck des Wunsches nach Freiheit. Im Laufe der Zeit erscheint der Begriff der Freiheit als beliebig geworden. Prof. Christof Voigt beschäftigte sich in seinem Studium Generale Vortrag am 6. Juli 2022 mit den sozialen und politischen Aspekten des Begriffs der Freiheit. Voigt ist Professor für Philosophie an der Theologischen Hochschule Reutlingen. Seit September 2021 ist er auch Rektor der Hochschule.
Christof Voigt beginnt seinen Vortrag mit einem anschaulichen Einstiegsbild. Kurz vor Ladenschluss möchte man noch etwas einkaufen. Der direkte Weg zum Laden führt über ein abgezäuntes Nachbargrundstück. Die eigene Bewegungsfreiheit wird hier empfindlich eingeschränkt zu Gunsten der Freiheit eines Nachbars. Sollte man nun diesen Zaun respektieren und warum eigentlich? Voigt führte das Beispiel fort. Das Grundstück wird respektiert, stattdessen wird sich dazu entschlossen mit dem Auto zu fahren. Auch hier nimmt man eine Fülle von Freiheitsbeschränkungen in Kauf – z.B. Verkehrsregeln wie der Rechtsverkehr oder die rote Ampel. Diese Freiheitseinschränkungen werden normalerweise akzeptiert, da sie Freiheit in einem größeren Kontext absichern. Das Beispiel zeigt, dass uns im Alltag an zahlreichen Stellen Fragen zur Freiheit und Freiheitsbeschränkungen begegnen. Voigt stellt aber im Laufe seines Vortrags auch klar, dass dieses Beispielbild die falsche Vorstellung befördern könnte, dass Freiheit zuteilbar sei. Es gibt keine einfache Gewinn- und Verlustrechnung an Freiheit. Die Freiheit des einen kann auch zu der eines anderen positiv beitragen.
Der Referent führte in seinem Vortrag Ausführungen zum Begriff der Freiheit an. Freiheit ist dabei eine zentrale Kategorie für die Beschreibung menschlicher Handlungen und Entscheidungen. Im Mittelpunkt steht hierbei die individuelle Freiheit des handelnden Subjekts. Davon zu unterscheiden ist die politische Freiheit. Laut Voigt ist in der Philosophie zudem grundsätzlich zwischen einem positiven und einem negativen Aspekt von Freiheit zu unterscheiden. Unter negativer Freiheit wird dabei die Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen oder Zwängen verstanden, d.h. die Freiheit zur ungehinderten Bewegung. Die positive Freiheit wiederum meint die Bestimmung des Handelns durch die handelnde Person, d.h. die Selbstbestimmung. Diese Unterscheidung geht auf den Philosophen Isaiah Berlin zurück.
Freiheit wird schon sehr früh in antiken und auch biblischen Texten als eine Voraussetzung persönlicher Verantwortung angesehen – unter der Annahme, dass Verantwortung nicht ohne Freiheit gedacht werden kann. Eine Handlung kann demnach dem Handelnden nur dann voll zugerechnet werden, wenn er sie in Freiheit ausgeführt hat. Im engeren Sinne handelt es sich also dann um eine Handlung, wenn eine Handlungsalternative möglich gewesen wäre. Kurz: Handeln heißt man hätte auch anders handeln können. Dieses Verständnis gerät nun laut Voigt in der jüngeren Zeit in den Verdacht, eine bloße Illusion zu sein. Die Frage lautet nun: Lässt sich die Freiheit des Entscheidens und Handelns mit der Annahme des Determinismus, d.h. die Auffassung, dass alle zukünftigen Ereignisse durch Vorbedingungen festgelegt sind, vereinbaren? In der philosophischen Debatte sind verschiedene Modelle zum Verhältnis von Freiheit und Determinismus entwickelt worden, auf die während des Vortrags genauer eingegangen wurde.
Nach seinem philosophischen Einstieg beschäftigte sich Voigt mit der politischen Freiheit. Hier geht es nun vom Einzelnen zum wir. Der Referent bezieht sich bei seinen Überlegungen auf das Buch „Freiheitsgrade“ von Christoph Möller. Politik wird hierbei als eine Praxis verstanden, in der eine Gemeinschaft ihre eigene Vergemeinschaftung nicht wie eine Naturgegebenheit hinnimmt, sondern sie beobachtet, bewertet und verändert.
Laut Möllers ist Freiheit gar nicht so sehr als existent oder nicht-existent, ja nein, schwarz-weiß zu bestimmen, sondern in Abstufungen. Er nennt hierbei drei Freiheitsgrade. Im Zuge des Vortrags beleuchtete der Referent diese genauer und nannte unter anderem drei Missverständnisse, die mit Blick auf Freiheit auftreten können.
Am Ende seines Vortags stellte der Referent die Überlegungen der Freiheit in den Horizont von Hannah Arendt und ihrem Aufsatz „Freiheit frei zu sein“. Dieser Text handelt zunächst von Revolutionen. Im Kern der Bewertung der Revolution entfaltet Arendt aber Überlegungen zum Begriff der Freiheit. Freiheit wird hier als eine mögliche Eigenschaft von Politik verstanden. Der tatsächliche Inhalt von Freiheit liegt im Zugang zum öffentlichen Bereich und in der Beteiligung an Regierungsgeschäften. Laut Arendt hat Freiheit auch viel mit Neuanfängen zu tun. Die revolutionäre Freiheit setzt etwas Neues in die Welt – der Beginn von Neuem.
Christof Voigt resümiert am Ende seines Vortrags: „Wir können nur gemeinsam frei sein“.