Aktuelles von der THR

Studienreise Zürich Mai 24

Erfahrungsbericht
Gruppenbild auf dem Münsterplatz
Gruppenbild auf dem Münsterplatz

25 Reutlinger:innen in der Schweiz – Studienreise Zürich Mai 24

Grüezi mitenand und willkommen in Zürich! 2022 hat die THR Hamburg besucht, 2024 machten wir uns für die Studienreise vom 1.-5. Mai in unser südliches Nachbarland auf. Wir genossen ein abwechslungsreiches Programm, das unser Neutestamentler, der seine Heimatstadt Zürich mindestens so sehr liebt wie das Neue Testament, geplant und angeleitet hat.

Am Mittwoch am Zürcher Bahnhof angekommen, trafen wir uns unter dem berühmten und riesigen Engel von Nicki de Saint Phalle, der mitten in der Bahnhofshalle die Reisenden beschützen soll. Wir bezogen unsere Unterkünfte in einer der Gemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche in Zürich oder bei Gemeindegliedern und erkundeten die Stadt. Höhepunkte waren der Pixelwald von Pippi-Lotti Rist, einer der führenden Installationskünstlerinnen der Schweiz mit Tausenden von Lichtobjekten, die zu Rhythmus und Musik unentwegt ihre Farbe ändern, die Polyterrasse der Eidgenössisch-Technischen Hochschule mit ihrem unglaublichen Blick über die Stadt und den See bis hin in die Alpen und schließlich das Polybähnli, eine über hundertjährige Standseilbahn vom See hinauf zu den Universitäten. Und weil es gerade der 1. Mai war und der Schwarze Block seine illegale oft gewalttätige Nachdemo einmal mehr gegen die Polizei verloren hatte, zogen wir friedlich und hungrig zum Kasernenfest, einem Multikulti-1.Mai-Parkfest mit kommunistischem Flair und kapitalistischen Preisen.

Am Donnerstag besuchten wir am Vormittag das Diakoniewerk Bethanien. Die Lebensfreude der Diakonissen war ansteckend. „Diakonissen leben im Durchschnitt 9 Jahre länger”, hörten wir. Gutes tun tut also gut und hält gesund. Die Sorge um die Armen und Kranken beinhaltet auch einen Aspekt der Selbstfürsorge. Am Nachmittag waren wir beim Netz4 zu Gast, der sozial-diakonischen Arbeit der Emk Zürich 4 im Herzen der Stadt, das gleichzeitig das Rotlichtmilieu ist. Das Angebot richtet sich insbeson­dere an Gestrandete, Suchtkranke und Mensch in Migration, etwa der Mittagstisch „Imbiss54” oder „e Nacht schänke“ (Übernachtungsmöglichkeit von Mittwoch auf Donnerstag). Damit verkörpert der Verein den Auftrag Jesu: „Was du einer meiner Geringsten getan hast, das hast du mir getan” (Mt 25). Kirche ist sozialdiakonisch orientiert – oder sie hört auf, Kirche zu sein. Am Abend wurden wir mit einem guten Dreigänge-Essen der Emk Zürich Nord versorgt, wo der ehemalige THR-Absolvent Emanuel Liechti nun als Pastor arbeitet.

Am Freitag ging es an die Uni Zürich zu Prof. Dr. Ralph Kunz (Praktische Theologie), der über die Zukunft der Kirche sprach. Die Identität des pastoralen Amtes ist für ihn das entscheidende Kriterium, um die Identität der Kirche zu bestimmen und dadurch wieder neu und selbstbewusst in die Welt hineinwirken zu können. Wahlweise konnte man die Streetchurch besuchen, eine Arbeit für junge Menschen in schwierigen Situationen, die aus der Jugendarbeit der EMK Zürich 4 entstanden ist und jetzt von der reformierten Landeskirche getragen wird. Pfr. Markus Giger schilderte intensiv und aktuell die Situation vieler junger Menschen in der größten Stadt der Schweiz und betonte immer wieder, dass Kirche auf keinen Fall nur am Sonntag stattfinde, sondern immer Kirche für andere sein müsse. Am Nachmittag empfing uns die Heilsarmee, die mit dem Projekt „Rahab” – benannt nach der Prostituierten aus Jericho (Jos 2ff) – den Sexworkerinnen im nahegelegenen Rotlichtmilieu beisteht und ihnen in Würde begegnet. „Besonders die Psalmen sind bei den Prostituierten bekannt, weil sie alle menschlichen Erfahrungen zur Sprache bringen”, hörten wir in einem Erfahrungsbericht. Den Abend konnten wir frei verbringen: Wein trinken, am Zürichsee sitzen, gemeinsames Kochen und Essen oder was sonst das Herz halt sonst so begehrte.

Am Samstag waren wir vormittags zu Besuch im Grossmünster, der Reformationskirche in der Altstadt Zürichs, wo wir von Pfarrer Dr. Christoph Sigrist, der 20 Jahre in dieser Kirche tätig war, so einige Geschichten erzählt bekamen: Von bebenden Totenköpfen bis spontanen Trauungen war alles dabei. Lebendig geschildert gab er uns in jeder Geschichte mit auf den Weg: Normativ ist immer der andere in seiner Not und nicht ich mit meinen Befindlichkeiten. Den Nachmittag konnte jeder nach Belieben selbst gestalten: ob auf dem Flohmarkt stöbern, eine Wanderung machen (wobei natürlich nur der schmale und äußerst steile Weg auf den Üetliberg in Frage kam) oder auf dem Zürichsee eine  Rundfahrt genießen. Die Stadt bot alles, was man sich an einem freien Nachmittag nur wünschen kann. Am Abend waren wir zum Grillfest in der Emk Zürich 4 eingeladen und begegneten den Einheimischen, die sich als gute Methodist:innen erwiesen mit ihrer Ess- und Redefreude. Danach ließen wir den Abend gemeinsam in einer nahegelegenen Bar ausklingen.

Am Sonntag besuchte jede:r von uns einen Gottesdienst. Nach dem gemeinsamen Essen im Anschluss machten wir uns wieder auf den Heimweg. Fünf volle Tage lagen nun hinter uns. Viele Eindrücke hatten sich in unser Herz geprägt. Wir hatten viel erlebt und gelernt. Was ich persönlich mitnehme? Die Lebensfreude der Diakonissen in Bethanien, die sich aus der Sorge für die Armen und Kranken speist; die sozialdiakonische Orientierung von Netz4 und der Streetchurch, deren christlicher Auftrag angesichts der Not des Nächsten entspringt; die Notwendigkeit einer festen Identität von Pastor:innen und Kirche, die uns Ralph Kunz näherbrachte; einen wachen Sinn, der die Spuren Gottes auch im dunklen und korrupten Rotlichtmilieu erkennen kann; den Mut, sich konsequent und nicht selten auch entgegen etablierter Strukturen am Wohl des Nächsten zu orientieren, wie es Christoph Sigrist uns lehrte. Und natürlich ein Stück Schweizer Schokolade aus der Lindtfabrik.

Martin Thoms, Masterstudent Theologie

 

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